Ob virtuell oder real, wir Hittorfer halten zusammen – Das Großstadt-Motiv in Zeiten von Corona

06.05.2021

Georg Simmel sagte bereits, dass es nur des Hinweises bedürfe, dass die Großstädte die eigentlichen Schauplätze dieser über alles Persönliche hinauswachsenden Kultur seien. Großstädte und Metropolen ziehen also an, wirken, sind Anker- und Sammelpunkt der jungen Generation. Großstädte sind urban, sind … „sind was? Na, urban eben.“ Ja gut, den Begriff galt es also zunächst zu klären: Was bedeutet Stadt? Wie definiere ich Stadt? Welche Kriterien liegen einer Stadt-Definition zugrunde? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff ‚Urbanität‘? Gar nicht mal so einfach, wenn man die (Innen)Stadt, die ja nicht unweit unserer Schule liegt, aufgrund von Corona nicht körperlich präsent erleben und forschend tätig werden kann. 

Doch durch viel Vorstellungsvermögen, anschauliche Fotos und Videos konnten wir uns als Klasse Recklinghausen erschließen und mussten, wohl oder übel, feststellen, dass Recklinghausen per Definition zwar eine Großstadt ist, aber nicht wirklich einer gleicht. Klasse, aber gleichzeitig Gedichte aus dem Expressionismus lesen. „Sprachliche Bilder auch noch in Städter (1914) von Alfred Wolfenstein untersuchen und deren Wirkung erläutern – witzig. Wie denn, wenn wir nicht mal wissen, wie sich Großstadt anfühlt oder aussieht.“ 

„Okay, okay. Wenn die Expressionisten Avantgarde können, dann können wir das auch.“ Übersetzt: Wenn wir schon nicht in die Großstadt gehen können, dann holen wir die Großstadt eben ins Klassenzimmer. Tolle Idee, aber wie genau? 

Ein paar Tage später. „Was haben wir denn hier? Ist das etwa? Nicht wirklich, oder? Und auch noch 10 Stück.“ Tief vergraben, zwischen Atlanten und Karten, unter Schulbüchern und Heften, haben wir das Werkzeug tatsächlich im Schrank eines Geographie-Fachraumes gefunden, mit welchem die Schülerinnen und Schüler nachts über den Times Square in New York laufen können, ohne, dass sie wirklich in New York sind. Virtual-Reality-Brillen. Danke, liebe Geographie-Fachschaft!

Der Wechselunterricht machte es also möglich, mithilfe eines 360°-VR-Videos (https://www.youtube.com/watch?v=OgQtDFRWai8) den Schülerinnen und Schülern New York, die Stadt, die niemals schläft, erlebbar zu machen. Und wer bereits abends auf dem Times Square war, der wird wissen, dass die Menschen hier „dicht wie Löcher eines Siebes stehen“. Mithilfe dieser VR-Erfahrung konnten wir also nicht nur sprachliche Bilder identifizieren und benennen, sondern eben auch deren Wirkung erläutern und somit letztlich verstehen. Denn sind wir doch mal ehrlich. Die einzigen Fragen, die sich die Schülerinnen und Schüler stellen, sind: Was will der/die Autor/in von mir und warum schreibt der/die so bekloppt? Dieser – zugegebenermaßen in manchen Fällen zutreffende – „Beklopptheit“ sind wir mithilfe der VR-Brillen forschend auf den Spuren gewesen, um zu verstehen, mit welcher Absicht sprachliche Bilder wie Personifikationen, Metaphern oder Vergleiche in Gedichten verwendet werden.

Wer denkt, dass es das jetzt war, Pustekuchen. Denn Klassenarbeiten durften nicht geschrieben werden, was eine Leistungsüberprüfung nicht einfacher macht. Schon wieder mussten wir also avantgardistische Mittel und Wege finden, um diese zu ersetzen. Es galt schließlich die inhaltlichen, sprachlich-stilistischen und formalen Erkenntnisse von Großstadtlyrik zur Zeit des Expressionismus und die eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen von (Groß)Stadt zu bündeln. Ein paar Schlagwörter und Klicks später hatten wir die Lösung. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln für Recklinghausen eine lyrisch-virtuelle 360°-Tour. Mithilfe der fast selbsterklärenden Plattform „vr-easy“ sollten die Schülerinnen und Schüler individuelle 360°-Touren erstellen und mithilfe unterschiedlichster Medien ausgestalten. Durch die App „google street view“ wurden 360°-Fotos aufgenommen, welche schließlich in das Programm integriert worden sind und mit selbst verfassten Haikus und selbst aufgenommenen Audioaufnahmen, Fotos oder Videos gestaltet wurden. Am Ende entstand so von jedem Schüler bzw. jeder Schülerin eine individuelle lyrisch-virtuelle 360°-Tour von Recklinghausen. Schaut doch gerne selbst:

https://vr-easy.com/tour/christianmengert/210327-projekt_alexa/#pano=1


https://vr-easy.com/tour/christianmengert/210327-projekt_sofia/#pano=4

Am schönsten war jedoch zu sehen, wie sich die Klasse auch in Zeiten des Distanzunterrichts gegenseitig unterstützt hat. So wurden die Touren zu einem kleinen Happening, bei welchem sich die Schülerinnen und Schüler draußen an der frischen Luft bewegt und Recklinghausen erkundet haben. Ob beabsichtigt oder nicht, es entstanden sogar kleine Fahrrad-Touren, um die besonderen Orte, Plätze, Räume und Nischen zu entdecken und fotografisch festzuhalten. 

Auch in Zeiten der Pandemie ist es also möglich, das ästhetische Bildungspotenzial von Räumen zu fördern. Durch dieses performative und außerschulische Lernen wird hier Raum also nicht als Behälter oder Hintergrund unserer Handlungen verstanden, sondern kommt erst durch unsere Handlungen zustande, durch unser Wahrnehmungshandeln und -erleben und unseren Umgang mit dem Raum.

Wie bereits vor der Pandemie galt und gilt stets das Motto: Ganz gleich, ob in der virtuellen oder realen Welt, wir Hittorfer halten zusammen. 

(Projektphase im Deutschunterricht der Klasse 8a, Herr Kammann und Herr Mengert)